Neues Deutschland vom 04.04.2017

Warten auf Caracas (Neues Deutschland vom 04.04.2017)

Von Wolf-Dieter Vogel

Mitglieder der Gruppe K.O.M.I.T.E.E. waren mehr als 20 Jahre abgetaucht – jetzt beantragten sie Asyl in Venezuela

Es sollte ein Angriff gegen die repressive deutsche Flüchtlingspolitik werden: Mit 120 Kilogramm Sprengstoff wollte die Gruppe »das K.O.M.I.T.E.E.« ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis im Berliner Stadtteil Grünau in die Luft sprengen. Es sei um weit mehr gegangen als bloße Symbolik, erklären die Militanten später. Man wollte effektiv gegen die Abschiebungen vorgehen, die »Maschinerie« sollte zumindest vorübergehend gestoppt werden. Doch daraus wurde nichts. Eine Polizeistreife entdeckte die Bomben in einem Ford-Transit-Lieferwagen, der auf einem Waldparkplatz abgestellt worden war. In einem zweiten Fahrzeug fanden die Beamten Ausweispapiere, die auf mutmaßliche Täter verwiesen: Peter Krauth, Thomas Walter und Bernhard Heidbreder. Die drei Männer aus der autonomen Szene tauchten ab.

Das war am 11. April 1995. Wie erst kürzlich bekannt wurde, stellten vor wenigen Wochen, am 8. März, Krauth und Walter in der venezolanischen Hauptstadt Caracas einen Asylantrag. »Damit haben wir zum ersten Mal nach knapp 22 Jahren in der Illegalität wieder so was wie einen legalen Status«, schreiben sie in einem Brief, der auf der Webseite einer Solidaritätsgruppe (www.ende-aus.net) veröffentlicht wurde. Zudem verrieten sie: »Wir sind jetzt wieder zusammen mit unserem Reisekollegen Bernd.«

»Bernd« Heidbreder war bereits im Juli 2014 in Venezuela aufgetaucht. Allerdings unfreiwillig: Interpol-Beamte des Landes nahmen ihn aufgrund eines internationalen Haftbefehls fest. Über zwei Jahre saß der heute 56-Jährige daraufhin hinter Gittern. Zwar beschloss das höchste venezolanische Gericht schon im Oktober 2015, Heidbreder nicht an die deutschen Behörden auszuliefern. Dennoch kam er zunächst nicht auf freien Fuß. Gefangen in den Wirren zwischen politischer Polizei und Migrationsbehörde musste er neun weitere Monate im Gefängnis verbringen. Angesichts der angespannten politischen Lage wollte offenbar niemand die Verantwortung für seine Freilassung übernehmen. »Wenigstens habe ich hier relativ gute Haftbedingungen«, erklärte er damals mit Blick auf die gewalttätigen Verhältnisse in vielen anderen Gefängnissen Venezuelas. Im Juli 2016 kam er schließlich auf freien Fuß.

Nun warten Heidbreder, Walter und Krauth darauf, dass die Migrationsbehörde in Caracas über ihre Asylanträge entscheidet. Sollte die Entscheidung positiv ausfallen, könnten sie sich zumindest in dem lateinamerikanischen Land frei bewegen. Heidbreder könnte in die Andenstadt Mérida zurückkehren, wo er vor seiner Verhaftung mit seiner Frau gelebt und die chavistische Bewegung unterstützt hatte. Dass die Behörden Asyl gewähren, ist jedoch alles andere als ausgemacht, zumal Venezuelas linke Regierung zunehmend unter Druck steht. Niemand weiß, wie lange sie sich noch halten kann. Und eine von Wirtschaftsliberalen und Rechten dominierte Staatsmacht wird kaum Interesse daran haben, den deutschen Linksradikalen einen sicheren Zufluchtsort zu bieten.

Eine Rückkehr nach Deutschland erscheint aber ebenfalls schwierig. Auch 22 Jahre nach dem gescheiterten Attentat halten die Behörden unerbittlich an der Strafverfolgung fest. Dabei sind fast alle Tatvorwürfe verjährt: die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und die Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags ebenso wie ein militanter Angriff auf das Kreiswehrersatzamt Bad Freienwalde, mit dem das K.O.M.I.T.E.E. 1994 auf die deutsche Beteiligung am Krieg gegen die kurdische PKK aufmerksam machte. Den Ermittlern bleibt deshalb nur eine Anschuldigung, um die Verfolgung aufrecht zu erhalten: Die Verabredung eines Sprengstoffanschlags nach Paragraf 30 des Strafgesetzbuches. Diese verjährt erst nach 40 Jahren.

Krauths Anwältin Undine Weyers kann das Vorgehen der Ermittler nicht nachvollziehen. »Es kann nicht sein, dass die Verabredung zu einer Tat länger verfolgt wird als die spätere Begehung einer Tat«, kritisiert sie. Gemeinsam mit den Verteidigerinnen der anderen Flüchtigen hat sie deshalb eine Verfassungsbeschwerde erhoben, die jedoch abgewiesen wurde. Bereits im letzten Jahr hat der Bundesgerichtshof die Haftbefehle gegen die Männer verlängert. Sollten Krauth, Walter und Heidbreder nach Deutschland kommen, müssten sie also weiterhin mit einer Haftstrafe rechnen.

Folglich lässt auch die Bundesanwaltschaft nicht locker: Vergangenen Oktober ließen die Karlsruher Ermittler eine Person aus dem ehemaligen Umfeld der Abgetauchten als Zeugin vorladen. Da diese sich weigerte, auszusagen, drohen ihr weiterhin bis zu sechs Monate Beugehaft. Früher waren die Strafverfolger noch schärfer gegen Freundinnen und Freunde der Drei vorgegangen. Die Schwester eines Beschuldigten saß nach dem gescheiterten Anschlag mehrere Wochen in Haft. Bekannte wurden observiert, Telefone überwacht und die Redaktionsräume der »taz« sowie der »jungen Welt« durchsucht – ohne Erfolg.

Die Unterstützer der Geflüchteten vermuten, die Beugehaft-Drohungen dienten eher der Bestrafung des sozialen Umfelds als der Sachaufklärung. Sie hatten nach der Verhaftung Heidbreders mit Petitionen, Kundgebungen und Solidaritätspartys auf den Fall aufmerksam gemacht. Das ist auch den abgetauchten Walter und Krauth nicht entgangen, wie sie in ihrem Brief zum Ausdruck bringen: »Es tut gut, nach so vielen Jahren diese ungebrochene Solidarität zu spüren.«