1995: Ein Genosse geht ins Exil und kehrt nun nie mehr zurück (Neues Deutschland vom 04.06.2021)

Der Aktivist Bernd Heidbreder ist gestorben. Nachruf eines Weggefährten

Detta Schäfer

Am 27. Mai 2021 verstarb unser Freund und Genosse Bernd Heidbreder mit 60 Jahren im Krankenhaus in Venezuela. Vier Wochen zuvor hatte Bernd über Schwindelanfälle und Sehstörungen geklagt. Vor zwei Wochen wurde dann dieser schnell wachsende Gehirntumor entdeckt und sofort eine Notoperation durchgeführt. Sein Leben konnte nicht gerettet werden.

Im Jahr 1995 war Bernd, wie seine beiden Freunde Thomas Walter und Peter Krauth, vor einer Verhaftung in Deutschland geflohen. 2014 wurde er in Venezuela festgenommen, kurze Zeit später tauchten dort auch die beiden anderen auf. Die Bundesanwaltschaft wirft den drei Männern vor, unter dem Namen K.O.M.I.T.E.E. für einen Brandanschlag auf den Sitz des Kreiskommandos 852 in Bad Freienwalde im Jahr 1994 verantwortlich zu sein. Hintergrund der Aktion war die massive Unterstützung von Bundeswehr, deutschen Rüstungskonzernen und der Bundesregierung für den mörderischen Kampf des türkischen Staates gegen das kurdische Volk.

Weiterhin sollen sie im Frühjahr 1995 einen Sprengstoffanschlag auf den Neubau eines Abschiebegefängnisses in Berlin-Grünau vorbereitet haben. Dort sollten geflüchtete Menschen inhaftiert werden, denen die Anerkennung des Flüchtlingsstatus in Berlin verweigert worden war, nachdem 1993 der Bundestag das bestehende Asylrecht ausgehöhlt hatte. Betroffen von den daraus folgenden Auslieferungen an beispielsweise türkische Behörden waren damals vor allem auch Geflüchtete aus kurdischen Gebieten.

Im Grunde handelte es sich um Sachbeschädigungen an der Grenze zu zivilem Ungehorsam – die sind auch in der heutigen Klimabewegung wieder fließend geworden. Immer mehr Menschen spüren die Empörung angesichts des täglichen menschenverachtenden Agierens des Systems, in dem wir leben. Mittlerweile laufen wir Gefahr, uns an die tödliche Realität für Flüchtlinge an den Grenzen der Festung Europa zu gewöhnen.

»Angst blockiert die Befähigung, aus den eigenen gesellschaftlichen Erfahrungen angemessene Schlussfolgerungen zu ziehen«, schrieb der Psychologe Rainer Mausfeld 2019. Die autonomen Zusammenhänge, in denen Bernd sich in Berlin bewegte, waren ein Versuch, gemeinsam die eigene Empörung, die Zweifel am System, aber auch an sich selbst, auch als Mann, ernstzunehmen und diese Suche, das Tasten in Handeln umzusetzen – im Großen wie im Kleinen.

Der deutschen Justiz ist es auch nach 26 Jahren nicht gelungen, das weite solidarische Netz für Bernd und die beiden anderen zu zerstören. Die beantragte Auslieferung nach Jahrzehnten des Exils hatte der Oberste Gerichtshof in Venezuela abgelehnt. Trotzdem saß Bernd zwei Jahre grundlos in Haft.

Es gibt kein Patentrezept, sich in diesen Zeiten seine Menschlichkeit zu bewahren. Bernd hat sich seinen Weg gesucht – mit unglaublicher Bescheidenheit, Zweifeln, mit einem feinen Humor, der auch vor ihm selbst nicht Halt machte, aber auch mit unglaublicher Konsequenz. In seinen letzten Jahren im Exil war es nicht einfach für Bernd, eine Perspektive zu finden. Nach Aberkennung der deutschen Staatsbürgerschaft Anfang dieses Jahres und wegen seines seit nun mehr als fünf Jahren nicht entschiedenen Antrages auf Anerkennung als Flüchtling in Venezuela schienen auch alle Möglichkeiten verbaut, seine 90-jährige Mutter in Deutschland wiedersehen zu können.

Wenn ich ein Bild von unseren Freund anschaue, wenn ich an ihn denke, erfasst mich eine tiefe, zärtliche Traurigkeit. Wir werden nicht aufhören, uns zu umarmen.