Am 2. Dezember 2021 hat die venezolanische Flüchtlingskomission „CONARE“ den Antrag von uns beiden Überlebenden im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren, Peter Krauth und Thomas Walter, auf Anerkennung als politische Flüchtlinge positiv beschieden. Wir haben damit Anspruch auf unbegrenztes Bleiberecht in Venezuela. Wir bekommen Ausweispapiere und können nach Jahren der Unsicherheit und der ständigen drohenden Festnahme wieder ein halbwegs normales Leben führen. Vorausgegangen war der Entscheidung der CONARE die Rücknahme der internationalen Ausschreibung mit einer „Red Flag“ durch Interpol. Für den dritten Beschuldigten im Verfahren, Bernd Heidbreder, kommt die Entscheidung zu spät. Bernd ist im Mai 2021 in Mérida an einem Tumor gestorben.
Der Beschluss der CONARE zeigt, wie auch schon die Annulierung der „Red Flag“ durch die „Comission for the Control of Files“ von Interpol, dass der anhaltenden Verfolgung gegen uns drei von Seiten der deutschen Bundesanwaltschaft (BAW) politische Motive zugrunde liegen. Das K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren wäre gemäß den üblichen deutschen Rechtsstandards längst verjährt, aber die BAW hatte sich in unserem Fall 2016 eine juristische Spitzfindigkeit einfallen lassen: Nach 20 Jahren wurde plötzlich in dem Verfahren ein anderer Strafparagraph angewandt: Nicht die Planung, sondern die diffuse „Verabredung“ für einen nicht stattgefundenen Anschlag auf die Baustelle eines Abschiebegefängnisses in Berlin Grünau im April 1995 soll jetzt verfolgt werden. Dadurch verlängert sich im Nachhinein die Verjährungsfrist auf 40 Jahre. Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurden nicht angenommen. Wir akzeptieren diese absurde Auslegung von Paragraphen nicht, die lediglich den persönlichen Rachegelüsten rechtslastiger Fahnder*innen dient. Das Verfahren gegen uns muss eingestellt werden!
Die CONARE hat sich für ihre Entscheidung viel Zeit gelassen. Gesetzlich vorgeschrieben war eine Bearbeitungszeit von höchstens 90 Tagen, gebraucht hat sie dafür fünf Jahre. Man muss keine erklärter Anhänger*in der venezolanischen Regierung sein, um dieser Entscheidung trotzdem Respekt zu zollen. Wir kennen deren Motive nicht, aber in einem internationalen Kontext, in dem die extraterritoriale Ausübung von Justiz durch die NATO-Staaten immer mehr zum Standard wird, ist die Entscheidung, uns vor politischer Verfolgung durch eines der reichsten Länder der Welt zu schützen, nichts weniger als mutig. Nach unserem Wissensstand sind wir beide derzeit die einzigen Linken weltweit, die Asyl vor der Verfolgung durch die deutsche Justiz erhalten.
Man kann es auch als ein Stückchen historische Gerechtigkeit sehen, dass gerade wir, die wir in den neunziger Jahren für das Recht auf Asyl für Flüchtige aus dem Trikont gekämpft haben, jetzt selbst im Trikont in die Gunst dieses Rechts kommen. Wir wissen das zu schätzen. Und als Betroffene, die über Jahrzehnte die Rechtslosigkeit und ständige Unsicherheit erlebt haben, die die Sans Papiers überall auf der Welt täglich erleiden, wollen wir die Bekanntgabe unserer eigenen erreichten Sicherheit für einen leidenschaftlichen Appell nutzen an alle, die das Privileg haben, innerhalb der Festung Europa zu leben: Setzt euch ein für die, die vor tyrannischen Regierungen welcher Couleur auch immer, vor Verfolgung wegen ihrer Andersartigkeit oder schlicht vor nicht aushaltbaren Zuständen fliehen und bei euch Schutz suchen! Vergesst nie, dass der europäische Wohlstand zu einem guten Teil auf der Misere anderer Weltregionen beruht. Macht euch stark für die Schwachen! Setzt euch ein für das Bleiberecht aller!
Peter und Thomas, Mérida am 26. Januar 2022
Informationen zum Verfahren findet ihr hier auch auf spanisch: https://no-extradicion.site36.net