Redebeitrag der Soligruppe auf der Kundgebung: „Die fabelhafte Welt des gemeinschaftlichen Widerstands“ am 3. Juli 2021 in Berlin

Selbstbestimmte Räume werden bedroht, werden geräumt und eine gigantische Welle der Repression gegen Beteiligte und solidarische Menschen rollt über uns hinweg. Davon haben wir heute schon viel gehört.

Da kann schon ein Gefühl aufkommen, mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt zu werden. Kein gutes Gefühl!

Dieses schlechte Gefühl ist nichts Neues und Unbekanntes!

Anfang der 90- er Jahre standen wir auch mit eben diesen Gefühlen da:

Der Zusammenbruch der real- sozialistischen Staaten führte zu einer Irritation in unseren wichtigen internationalistischen Zusammenhängen; die ideologische und materielle Unterstützung war weggebrochen und führte zu einer Suche nach neuen Wegen. Gleichzeitig waren alle Kräfte eingebunden, sich einem aufkommenden Nationalismus mit brutalen Auswirkungen entgegenzustellen. In dieser unübersichtlichen und irritierenden Situation zerfaserte sich die Linke in der Suche nach neuen Wegen.

In der ersten Hälfte der 90- er Jahre war das schlechte Gefühl, mit dem Rücken an die Wand gedrückt zu werden wieder da. In dieser Situation meldete sich die militante Gruppe „Das Komitee“ zu Wort. Ich zitiere an dieser Stelle aus einer ihrer Erklärungen:

„Seit Ende der 80- er und noch verstärkt in den 90- er Jahren war und ist eine radikale Linke zu beobachten, deren politische Stärke und gesellschaftlicher Einfluss von Jahr zu Jahr mehr verloren ging und deren inhaltliche wie praktische Entwicklung sich immer mehr von radikalen Positionen entfernt hat. Solange es eine gemeinsame Stärke gab, auch auf militanter Ebene, hielten wir es nicht für unbedingt nötig, als Militante unter dem selben Namen in Erscheinung zu treten. Als der kontinuierliche Diskussionsfaden durch die zu beobachtende Rückzugsbewegung der Linken abgerissen war und gemeinsam erarbeitete Arbeitsgrundlagen sich aufzulösen begannen, kamen wir zu dem Schluss, das es nötig ist, sich als Gruppe in den Kontext einer kontinuierlichen und öffentlich nachvollziehbaren Politik zu stellen.

Wir sind davon ausgegangen, dass Beiträge und Interventionen von Gruppen, deren Name für eine bestimmte Praxis und politische Ausrichtung steht, von der Öffentlichkeit und der Linken mit einer größeren Aufmerksamkeit gelesen, verfolgt und diskutiert werden als Veröffentlichungen von Gruppen ohne erkennbare Kontinuität. So hofften wir im Lauf der Zeit auf die Entwicklung der linken Szene einen positiven Einfluss zu haben und Orientierungspunkte zu setzen.“

(Das Komitee aus ihrer zweiten Erklärung im September 1995)

Die Realität sollte anders aussehen:

November 1994

Ein erster Anschlag auf ein Gebäude der Bundeswehr, dass deren Verstrickung und Beteiligung in den Krieg des türkischen Militärs gegen die kurdische Bevölkerung aufdecken sollte, verhallte ohne große Aufmerksamkeit oder Diskussion.

Der zweite – gar nicht durchgeführte – Anschlag sollte umso mehr nachhallen.

April 1995

Die kurz vor der Fertigstellung stehende Baustelle des Abschiebeknastes in Berlin Grünau sollte gesprengt werden. In den Vorbereitungen zu dieser Sabotageaktion flog diese auf. Der Knast wurde nicht gesprengt.

Die Konsequenzen hingegen waren immens:

Drei Genossen, Thomas, Bernd und Peter tauchen auf Grund massiver Indizien ab.

Über die Freund*innen und Genoss*innen sowie deren Familien rollt eine unglaubliche Welle der Repression.

Es kommt zu Verhaftungen, Überwachungen, Hausdurchsuchungen, eine Person saß 4 Monate in Beugehaft, eine Person mehrere Wochen in Untersuchungshaft. Im Lauf der Zeit wurde gegen mehrere Menschen – neben den drei Untergetauchten – ermittelt mit den eben genannten und weiteren massiven Lebenseinschränkungen.

Fast 120 Aktenordner sind gefüllt mit der Dokumentation der Versuche der Verfolgungsbehörden, der drei Untergetauchten habhaft zu werden.

Das sollte fast 20 Jahre nicht gelingen.

Die Repression gegen die Freund*innen, Genoss*innen und Familien hörte nicht auf!

Dass wir – sowohl die Drei als auch wir hier – das alles ausgehalten und durchgehalten haben, verdanken wir wir der Solidarität von Menschen, die uns beigestanden und einfach geholfen haben. Ihnen allen gebührt großer Dank. Diese Solidarität ist eine große Stärke, die uns keine ud keiner nehmen kann!

Im Juli 2014, neunzehneinviertel Jahre nach dem Abtauchen, wird Bernd in Venezuela auf Grund des internationalen Haftbefehles festgenommen. Bernd sitzt dort 2 Jahre in Haft, ohne zu wissen wie lange die Haft währen wird, weil es keine gesetzliche Grundlage dafür gab, nachdem die Auslieferung nach Deutschland abgewiesen worden war.

In vmtl jedem Land der Welt waren die den drei gesuchten Leuten vorgeworfenen Taten längst verjährt – so auch in Venezuela – ; in Deutschland hingegen nicht. Hier werden die Taten – Unabhängig davon, wer sie ausgeführt haben mag! – nach wie vor verfolgt, weil die „Verabredung zu einer Straftat“, §30 StGB, so lange währt, als wäre die Tat vollzogen worden! In diesem Fall endet die Verjährung nach 40 Jahren, im April 2035!

Im Juli 2016 kommt Bernd in Venezuela frei und stellt dort einen Asylantrag. Daraufhin stellen auch Thomas und Peter Anfang 2017 Asylanträge in Venezuela.

Da der Aufenthaltsort der Drei nun bekannt ist, endet auch die direkte Repression hier bei uns. Noch im Frühjahr 2017 war eine Person aufgrund des Verfahren akut von Beugehaft bedroht.

Wir Freund*innen, Genoss*innen und Familien konnten Kontakt aufnehmen und sehen seitdem im regen Austausch mit den Dreien.

Alle Drei stehen mit geraden Rücken im Leben und kämpfen für eine bessere Welt. Sie mischen sich ein und sind ein Teil von uns.

Nun die schlechte Nachricht:

Unser Freund und Genosse Bernd ist am 27.05.2021 nach sehr kurzer, sehr schwerer Krebserkrankung in Venezuela gestorben. Thomas, Peter und seine Freund*innen vor Ort konnten bei ihm sein. Uns hier war das wegen der Pandemie nicht möglich.

An dieser Stelle habe ich an eine Schweigeminute gedacht. Doch Bernd selbst war viel zu bescheiden, als dass er so etwas „Martialisches“ gutgeheißen hätte. Deshalb hören wir uns lieber gemeinsam ein kurzes Liedchen an, dass er vor 2 Jahren zusammen mit Thomas aufgenommen hat. Bernds ist die höhere der beiden Stimmen.

Auf der Website unserer Soligruppe sind ein ganze Reihe von Nachrufen auf Bernd zu finden.

Im Jahr 2019 hat ein solidarischer Berliner Filmemacher einen Film über Thomas und dessen Zusammenarbeit mit dem Musiker Mal Élevé aufgenommen. Der Film lief im letzten Jahr in den Kinos und ist nun auch als DVD erhältlich (Oh21, Schwarze Risse u.a.O.). Dort sind auch Aufnahmen und Aussagen von Bernd zu sehen und zu hören.

Die von Thomas und Mal Élevé aufgenommene Musik gibt‘s als CD.

Ich habe einige der Musik- CD‘s dabei. Wer eine kaufen möchte, kann sich gleich hier vorne melden.

In Bernds und unser aller Sinne wird der Kampf um eine bessere Welt weitergehen, ob in Venezuela, hier oder sonstwo auf der Welt.

Der Kampf, Gewaltverhältnisse, wo auch immer sie bestehen, zu erkennen und zu minimieren.

Der Kampf, emanzipatorische Bewegungen zu unterstützen und zu verstärken.

Darin sehe ich meine, eure und unser aller Aufgabe! Ein Prozess, der nicht enden wird!

Dazu bedarf es Räumen und der Straße, die wir uns erobern, erhalten und ausbauen!

Wir werden nicht müde werden, den Herrschenden Steine in den Weg , Schrauben ins Getriebe zu schmeißen, bildlich wie wörtlich.

Zum Schluss ein Zitat von „Option Weg“:

„Sei nicht traurig,

wenn die Verhältnisse so sind

so wie sie sind,

denn daran hast du keine Schuld;

wir ziehen los

und schmeißen Schrauben ins Getriebe;

wir sind Diebe in ‘nem Laden, den wir nicht bezahlen können!“

Für die Freiheit!

Für das Leben!

Venceremos!