Jurek Luisenstadt
Als Mitglieder der linken militanten Gruppe „Das K.O.M.I.T.E.E.“ wurden Thomas Walter und Peter Krauth am Dienstag, 08.04.25 zu zwei Jahren Gefängnisstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Gruppe hatte in den 1990er Jahren einen Anschlag auf ein Ausbildungszentrum der Bundeswehr ausgeübt und versucht, ein Gebäude zu sprengen, das zu einem Abschiebegefängnis umgebaut werden sollte. Dem Urteil voran ging eine Rückkehr und ein Deal mit der Bundesanwaltschaft – nach 30 Jahren Flucht und Exil. Mehr dazu im Gegenwind-Artikel aus dem März.
Gegenwind hat sich mit Peter Krauth und Thomas Walter getroffen. In einem informellen Gespräch vor dem Urteilsspruch sprach Krauth über die absurde Situation, ein Berlin-Kreuzberg so verändert vorzufinden, dass es kaum eine Rückkehr nach Hause ist. Weil von der alten hochpolitischen Heimat kaum noch etwas übrig ist. Und von einer veränderten Weltlage, in der alle Zeichen auf Krieg und autoritären Staat stehen.
Thomas Walter treffen wir in den letzten Prozesstagen zum Interview in einem linken Café. Er ist auf der Suche nach Anschluss zum neuen Berlin und linken Orten. Er ist in eine Decke gewickelt – in Deutschland ist es für ihn sehr kalt.
Gegenwind: Nach 30 Jahren seid ihr zurück in Berlin, dass ihr damals Hals über Kopf verlassen musstet. 30 Jahre hat euch der deutsche Staat nicht in Ruhe gelassen, alle möglichen Tricks angewandt, um euch am Ende doch noch als verurteilt zu den Akten legen zu können. Wie fühlt es sich an, diese dreißigjährige Geschichte damit zu beenden, sich zu stellen?
Thomas: Scheiße fühlt sich das an. Es fühlt sich grundsätzlich scheiße an, sich dieser Macht zu unterwerfen. Ich wollte das nie, ich hätt’s immer gerne anders gehabt. Aber es ist eine Abwägung. Wir wollten natürlich gerne unsere Familie nochmal sehen. Wir wollten wieder Sachen machen können, die wir die ganze Zeit nicht machen konnten, weil wir keine Papiere hatten. Wir wollten ganz gerne noch mal Deutschland sehen, bevor wir nicht mehr laufen können ohne Stock. Von daher war es eine Abwägung. Und wir haben auch immer gesagt: Wir sind bereit einen Deal zu machen und uns denen auszuliefern – aber nur wenn sie keine Abkehr verlangen, also keinen Verrat an der Sache und keinen Verrat an anderen. Die Bedingungen haben wir gestellt, sie wollten nie. Und kein Gefängnis, wir gehen nicht freiwillig ins Gefängnis, das ist eine Ehrensache. Als Revolutionär gehst du nicht in den Knast rein. Wenn sie dich kriegen – okay. Aber du hilfst ihnen nicht dabei.
Davon haben wir nur einmal eine Ausnahme gemacht. Als Bernhard im Knast in Venezuela saß und es ihm richtig schlecht ging, haben wir gesagt: Wir würden eine kleine Zeit in Haft gehen, einfach damit es für Bernd vorbei ist. Da ging es nur noch darum: Was können wir machen, damit das für Bernd vorbei ist? Aber nicht einmal darauf konnten sie sich damals einlassen.
Gegenwind: Es gibt ja in der linksradikalen traditionell ein Dogma, dass man sich nie – auch nicht taktisch oder wohlüberlegt – dem Staat gegenüber einlässt. Dahinter wittert man einen politischen Verrat, eine Abkehr. Bei allem, was man in den Prozesstagen von euch gehört hat, scheint das aber nicht zu befürchten zu sein. Alt seid ihr geworden, aber altersmilde nicht, oder?
Thomas: Nee. Nein, wirklich nicht. Wir haben das Mindeste gemacht, was sie gefordert haben, nämlich unsere Personalien angeben und eine ausgehandelte Schulderklärung unterschreiben. Mehr wollten wir nie sagen.
Was du vorher gesagt hast – dass es da einen Konsens gegen Einlassungen gäbe – hat zumindest nicht immer gestimmt. Die RAF hat sich teils stolz eingelassen und gesagt: Diese Bombe haben wir gelegt, die nicht. Aber sie haben das natürlich nie gemacht wie wir, um einen Deal zu machen, sondern als einen politischen Prozess. Als eine Schaubühne für ihre Überzeugungen. Die standen zu ihren Sachen. Tun wir natürlich auch, aber wir können das nicht genauso. Bei einem Deal kannst du nicht offensiv auftreten und sagen, wir sind die großen Kämpfer – das passt einfach nicht.
Gegenwind: Aber jetzt, nach der Verurteilung könnt ihr das ja machen, oder? Euch vor die Welt stellen und frei sprechen.
Thomas: Ja, als politische Menschen sind wir ungebrochen. Die haben uns Kraft ihres Gewaltmonopols und der ganzen miesen Maschinerie diesen Deal abringen können. Da sind wir schwach geworden, weil es uns wichtiger war, das Ganze abzuschließen. Und ja auch nicht nur wegen uns, sondern auch wegen all der Leute im Umfeld, die erheblich darunter gelitten haben. Das hat uns auch immer sehr zu schaffen gemacht. Wir haben da einen ganzen Rattenschwanz von Leuten mit reingezogen und belastet. Dafür sind wir von unserer Maximalposition zurückgetreten. Aber mit uns als politischen Personen hat das nichts zu tun. Wovon wir nie abrücken wollten, das war: Wir machen keinen Deal, bei dem wir etwas bereuen müssten. Wir bereuen nichts. Das wäre eine Lüge. Wir würden nie Lügen, wenn es um unsere Ideale geht – das ist unantastbar.
Gegenwind: Bekommt ihr es mit, dass gerade viele Antifaschist:innen massiver Verfolgung ausgesetzt sind. Da gibt es gerade auch einige, die sich dem Staat stellen. Kann man das vielleicht mit euch vergleichen?
Thomas: Ja, auf jeden Fall. Das ist ja eine ähnliche Geschichte. Nur der Unterschied ist: Als wir damals überlegt haben, ein Abschiebegefängnis kaputt zu machen, wussten wir durchaus, da geht es um sehr lange Jahre Knast für uns oder schlimmeres, falls es schief geht. Diese Leute, die da ein paar Glatzen in Budapest verhauen haben oder in Leipzig, die haben nicht kommen sehen, dass es da plötzlich um Jahrzehnte Strafandrohung geht. Oder einen Mordversuch, weil man jemanden festgehalten hat, während jemand anderes dem Ohrfeigen verpasst. Das muss ein Schock sein und damit hat man nicht gerechnet. Ich kann verstehen, dass sich da gestellt wird, wenn man glaubt, dass das billiger wird. Ich habe aber das Gefühl, das war taktisch nicht richtig ausgereift. Wir haben über Jahre in aller Ruhe das Beste ausgehandelt und konnten das aus unserer Lage im Exil heraus auch. Die haben sich jetzt teils gestellt für Sachen, die nur in Aussicht gestellt wurden, aber nicht verlässlich sind. Sie hatten aber auch offensichtlich eine prekäre Lage und nicht die Strukturen, mit denen man sich doch nochmal 5 Jahre länger bedeckt halten kann und auf ein besseres Angebot wartet. Und dann hat man sich sehr schnell einsammeln lassen. Da kann sich der politische Wind schnell drehen und dann sagt die Bundesanwaltschaft „Wir haben ja nichts versprochen, ab nach Budapest“.
Gegenwind: Der politische Wind dreht sich ja auch gerade. Und das ist beängstigend für viele, die politisch aktiv sind. Andererseits, wenn man eure Kommuniqués aus den Neunzigern liest und dann sieht, was damals die Probleme waren, fühlt man sich doch an heute erinnert. Es geht da um Faschisierung, Militarismus, sexistischer Rollback und Abschieberegime. Nur, dass heute wie die dramatische Steigerung von damals wirkt. Ihr schreibt auch damals, dass eure Art der militanten Aktionen eher eine Antwort auf die damaliger Krise der Linken und auf das Nichtstun vieler war, als dass ihr es für so etwas wie der Weisheit letzter Schluss halten würdet. Dass gewissermaßen revolutionärer Kampf ein gemeinsamer Lernprozess ist. Und, dass ihr als ein Teil davon erinnert werden wollt, wenn einmal die Zeiten anders sind und die Suche nach der richtigen Strategie weitergegangen ist. Damit sprecht ihr damals schon die heutige Generation von Aktivist:innen direkt an. Was meint ihr, was heute der Ansatz sein muss? Was ist zu tun und wie?
Thomas: In erster Linie, würde ich sagen, muss es um die Organisierung gehen. Ich habe immer gefunden, dass die Wahl der Mittel sich den Bedingungen anpassen muss. Ob es heute das Richtige wäre, Abschiebegefängnisse zu sprengen oder Anderes aus der Kategorie zu unternehmen, würde ich eher bezweifeln. Was wirklich wichtig ist, ist Strukturen zu schaffen, mit denen man den Angriffen des Staates, so wie sie gerade auf uns einprasseln, standhalten kann. Und die scheint es nicht so zu geben, wie das früher einmal war. Die Leute, die es heute erwischt, sind ins kalte Wasser geworfen. Bei allem was man unternimmt, brauchst du Strukturen, die dir den Rücken freihalten. Die Leute sind vereinzelt und das geht so nicht. Es wird ein Angriff auf eine ganze Bewegung ausgeführt – auch alle, die das gar nicht als Angriff auf sich selbst wahrnehmen. Und die Leute müssen begreifen, dass sie anfangen müssen, sich zu organisieren. Das ist gerade die Vorbereitung eines massiven Rechtsrucks.
Gegenwind: Meinst du also, das ist nicht nur ein Angriff auf die einzelnen politisch Aktiven, sondern ein Angriff auf einen Großteil der Bevölkerung, auf die Klasse und die sogenannten Minderheiten?
Thomas: Ja, eindeutig. Sie bereiten sich vor. Sie sehen, es gibt eine Krise und sie haben eine Antwort auf die Krise und zwar eine reaktionäre Antwort. Sie wollen im Vorfeld ausschließen, das es irgendwelche Selbstverteidigungsversuche von unten gibt. Sie wollen abschrecken und verhindern, dass irgendwer auf die Idee kommt, zu sagen: „Ich mach was“. Alle sollen parieren. Es geht um Aufrüstung, es geht um Krieg, und zwar um richtigen Krieg. Das Gerede von der Verteidigung ist nicht aufrechtzuerhalten. Und es geht um den Kampf gegen die Migration, die mit dem Klimawandel massiv ansteigen wird und mit all den Gründen, die sie von hier aus verursacht haben. Darauf soll es eine repressive Antwort geben und da brauchen sie keinen Widerstand. Und da sind sie uns voraus. Die bereiten sich auf Szenarien vor, von denen können wir noch gar nicht träumen.
Gegenwind: Ist das eine Tendenz zur Faschisierung, zu der es die AfD nicht einmal braucht?
Thomas: Eindeutig. Die AfD ist natürlich scheiße, aber das ist nicht meine große Angst. Meine Angst ist der Faschismus bei den Grünen, den vermeintlich Progressiven. Das reicht in meine alten Kreise hinein. Faschisierung, Rassismus. Zum Beispiel Palästina. Klarer Rassismus. Diese Faschisierung läuft quer durch die Gesellschaft. Und das nicht nur in Deutschland. Es geht um die Profiteure des Weltsystems gegen die Armen. Reich gegen Arm. Und die reichen Länder faschisieren sich, um gegen die anderen und den Ansturm aus den armen Ländern anzugehen.
Gegenwind: Du hast vorhin heutigen Linken schon eine Sache mitgegeben: Sie müssen sich organisieren und das ist wichtiger denn je. Gibt es da noch etwas, wovon du glaubst, das könnte der Bewegung von heute Mut machen? Oder einen Rat?
Thomas: Ich weiß nicht ob das heute noch was bringt, ich bin alt. Aber was für uns damals eine Motivation war, war nicht nur das Ideologische. Wir hatten auch einfach Spaß am Kampf. Den Moment genießen, den geilen Moment, wenn die Masse sich vereint und gegen die Bullen wehrt. Das ist (Thomas seufzt) erhebend, das ist besser als Sex. Das ist abgefahren. Diese kollektiven Strukturen auszuprobieren. Ich weiß nicht ob man das auf heute übertragen kann.
Gegenwind: Kann man das übertragen in dem einfachen Satz: Statt nur aus dem Kopf heraus, den Kampf aus dem Herz heraus nicht vergessen?
Thomas: Ok, klingt gut. Und: Organisierung nicht nur für Ziele, sondern auch für den Alltag, für Kollektivität, das ist ein Grundbedürfnis des Menschen. Wir sind gemacht, als Gruppe zu leben und nicht als Einzelwesen. Die Wirtschaftsform, in der wir leben fördert das natürlich überhaupt nicht. Das Ganze: Wir müssen zusammen finden, lasst uns zusammen kochen, zusammen ins Grüne, zusammen Sport machen, lasst uns musizieren – das ist Teil der Organisierung. Das schafft das Gefühl: Auf die kann ich mich verlassen. Das muss man sich erarbeiten im Alltag.
Gegenwind: Ich weiß nicht wie man das noch besser abschließen soll.
Thomas: Na dann trinken wir noch ein Bier, oder?
Der Artikel im Original.