Asyl nach fünf Jahren Unsicherheit (Neues Deutschland vom 06.02.2022)

Venezolanische Flüchtlingskommission gewährt deutschen militanten Linken dauerhaften Aufenthaltstitel

Von Wolf-Dieter Vogel, Oaxaca

Es hat fünf Jahre gedauert, aber nun hat die venezolanische Flüchtlingskommission (Conare) eine Entscheidung getroffen: Die Behörde hat den Asylantrag der deutschen Linken Thomas Walter und Peter Krauth positiv beschieden. Die vorgebrachten Gründe, um als politische Flüchtlinge anerkannt zu werden, seien subjektiv und objektiv gegeben, schrieb die Conare in der Bewilligung, die die beiden vor wenigen Tagen erhalten haben. Die vor 27 Jahren aus Deutschland Geflüchteten haben damit ein unbegrenztes Bleiberecht in Venezuela. »Wir haben nicht mehr damit gerechnet, dass das noch was wird«, sagte Walter dem »nd«. Für ihren Mitstreiter Bernd Heidbreder kam der Beschluss zu spät: Der 60-Jährige erlag im vergangenen Mai einem Krebsleiden. Weiterlesen

Asyl in Venezuela (junge Welt vom 29.01.2022)

Komitee-Verfahren: Zwei linke Aktivisten aus der BRD entgehen politischer Verfolgung durch deutsche Justiz

Matthias Monroy

Die venezolanische Flüchtlingskommission hat zwei aus Deutschland stammenden Aktivisten, Peter Krauth und Thomas Walter, einen Anspruch auf Schutz vor politischer Verfolgung zuerkannt. Sie haben damit Anspruch auf ein unbegrenztes Bleiberecht in Venezuela, meldete die Solidaritätswebseite für die Verdächtigen im sogenannten Komitee-Verfahren am Donnerstag.

Seit 1995 wurden Krauth, Walter und der kürzlich an einem Tumor verstorbene Bernhard Heidbreder vom Bundeskriminalamt (BKA) wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung gesucht. Sie sollen im selben Jahr einen Brandanschlag auf ein Bundeswehr-Gebäude in Bad Freienwalde in Brandenburg verübt haben. 1996 habe die Gruppe außerdem versucht, ein im Bau befindliches Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau in die Luft zu sprengen. Eine Polizeistreife war auf hierfür vorgenommene Absperrungen der Baustelle aufmerksam geworden. Die Täter flüchteten, das Gebäude blieb unversehrt. In einem am Tatort zurückgelassenen Fahrzeug fand das BKA Beweismittel, die es den drei Gesuchten zuordnete. Weiterlesen

Refugium in Venezuela!

Am 2. Dezember 2021 hat die venezolanische Flüchtlingskomission „CONARE“ den Antrag von uns beiden Überlebenden im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren, Peter Krauth und Thomas Walter, auf Anerkennung als politische Flüchtlinge positiv beschieden. Wir haben damit Anspruch auf unbegrenztes Bleiberecht in Venezuela. Wir bekommen Ausweispapiere und können nach Jahren der Unsicherheit und der ständigen drohenden Festnahme wieder ein halbwegs normales Leben führen. Vorausgegangen war der Entscheidung der CONARE die Rücknahme der internationalen Ausschreibung mit einer „Red Flag“ durch Interpol. Für den dritten Beschuldigten im Verfahren, Bernd Heidbreder, kommt die Entscheidung zu spät. Bernd ist im Mai 2021 in Mérida an einem Tumor gestorben.

Der Beschluss der CONARE zeigt, wie auch schon die Annulierung der „Red Flag“ durch die „Comission for the Control of Files“ von Interpol, dass der anhaltenden Verfolgung gegen uns drei von Seiten der deutschen Bundesanwaltschaft (BAW) politische Motive zugrunde liegen. Das K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren wäre gemäß den üblichen deutschen Rechtsstandards längst verjährt, aber die BAW hatte sich in unserem Fall 2016 eine juristische Spitzfindigkeit einfallen lassen: Nach 20 Jahren wurde plötzlich in dem Verfahren ein anderer Strafparagraph angewandt: Nicht die Planung, sondern die diffuse „Verabredung“ für einen nicht stattgefundenen Anschlag auf die Baustelle eines Abschiebegefängnisses in Berlin Grünau im April 1995 soll jetzt verfolgt werden. Dadurch verlängert sich im Nachhinein die Verjährungsfrist auf 40 Jahre. Beschwerden vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wurden nicht angenommen. Wir akzeptieren diese absurde Auslegung von Paragraphen nicht, die lediglich den persönlichen Rachegelüsten rechtslastiger Fahnder*innen dient. Das Verfahren gegen uns muss eingestellt werden!

Die CONARE hat sich für ihre Entscheidung viel Zeit gelassen. Gesetzlich vorgeschrieben war eine Bearbeitungszeit von höchstens 90 Tagen, gebraucht hat sie dafür fünf Jahre. Man muss keine erklärter Anhänger*in der venezolanischen Regierung sein, um dieser Entscheidung trotzdem Respekt zu zollen. Wir kennen deren Motive nicht, aber in einem internationalen Kontext, in dem die extraterritoriale Ausübung von Justiz durch die NATO-Staaten immer mehr zum Standard wird, ist die Entscheidung, uns vor politischer Verfolgung durch eines der reichsten Länder der Welt zu schützen, nichts weniger als mutig. Nach unserem Wissensstand sind wir beide derzeit die einzigen Linken weltweit, die Asyl vor der Verfolgung durch die deutsche Justiz erhalten.

Man kann es auch als ein Stückchen historische Gerechtigkeit sehen, dass gerade wir, die wir in den neunziger Jahren für das Recht auf Asyl für Flüchtige aus dem Trikont gekämpft haben, jetzt selbst im Trikont in die Gunst dieses Rechts kommen. Wir wissen das zu schätzen. Und als Betroffene, die über Jahrzehnte die Rechtslosigkeit und ständige Unsicherheit erlebt haben, die die Sans Papiers überall auf der Welt täglich erleiden, wollen wir die Bekanntgabe unserer eigenen erreichten Sicherheit für einen leidenschaftlichen Appell nutzen an alle, die das Privileg haben, innerhalb der Festung Europa zu leben: Setzt euch ein für die, die vor tyrannischen Regierungen welcher Couleur auch immer, vor Verfolgung wegen ihrer Andersartigkeit oder schlicht vor nicht aushaltbaren Zuständen fliehen und bei euch Schutz suchen! Vergesst nie, dass der europäische Wohlstand zu einem guten Teil auf der Misere anderer Weltregionen beruht. Macht euch stark für die Schwachen! Setzt euch ein für das Bleiberecht aller!

Peter und Thomas, Mérida am 26. Januar 2022

Informationen zum Verfahren findet ihr hier auch auf spanisch: https://no-extradicion.site36.net

Redebeitrag der Soligruppe auf der Kundgebung: „Die fabelhafte Welt des gemeinschaftlichen Widerstands“ am 3. Juli 2021 in Berlin

Selbstbestimmte Räume werden bedroht, werden geräumt und eine gigantische Welle der Repression gegen Beteiligte und solidarische Menschen rollt über uns hinweg. Davon haben wir heute schon viel gehört.

Da kann schon ein Gefühl aufkommen, mit dem Rücken gegen die Wand gedrückt zu werden. Kein gutes Gefühl!

Dieses schlechte Gefühl ist nichts Neues und Unbekanntes!

Anfang der 90- er Jahre standen wir auch mit eben diesen Gefühlen da:

Der Zusammenbruch der real- sozialistischen Staaten führte zu einer Irritation in unseren wichtigen internationalistischen Zusammenhängen; die ideologische und materielle Unterstützung war weggebrochen und führte zu einer Suche nach neuen Wegen. Gleichzeitig waren alle Kräfte eingebunden, sich einem aufkommenden Nationalismus mit brutalen Auswirkungen entgegenzustellen. In dieser unübersichtlichen und irritierenden Situation zerfaserte sich die Linke in der Suche nach neuen Wegen. Weiterlesen

Die Kunst, sich nicht einsperren zu lassen (ak 672)

Nach mehr als 25 Jahren auf der Flucht ist Bernd Heidbreder in Venezuela gestorben. Thomas Walter über seinen Freund und Mitstreiter, staatlichen Verfolgungseifer und das Leben im Exil

Interview: Kristian Stemmler

Eine traurige Nachricht kam Ende Mai aus Venezuela. Bernd Heidbreder erlag im Alter von 60 Jahren in seinem Exil in den Anden einer Krebserkrankung. Er war Teil der Gruppe K.O.M.I.T.E.E., die 1995 versucht hatte, in Berlin-Grünau ein im Ausbau befindliches Abschiebegefängnis zu sprengen. Mit seinen beiden Mitstreitern konnte er flüchten, die deutschen Behörden jagten die drei mit obsessivem Aufwand. Sein Freund und Genosse Thomas Walter beantwortete aus Venezuela Fragen zu Bernd Heidbreder, seinem politischen Wirken, dem gemeinsamen Leben im Exil und zum Thema Militanz. Weiterlesen