Gegen den Strom: Dokumentarfilm mit einem der Gesuchten im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren

Der Dokumentarfilmemacher Sobo Swobodnik hat einen Film gedreht über das Musikprojekt von Thomas Walter, Beschuldigter im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren, und Pablo „Mal Élevé“ Charlemoine, ehemaliger Sänger der Band Irie Révoltés. Nach Abschluss der Dreharbeiten hat er mit uns in Venezuela über das Projekt geplaudert.

Warum kamst du überhaupt auf die Idee, den Film zu drehen?

Es ist ja nicht der erste Film, den ich mache, ich habe schon ein paar andere gemacht. Und wenn man sich so anguckt, was die Filme miteinander verbindet, über ganz andere Protagonisten, über ganz unterschiedliche Themen, da gibt es so eine rote Linie, die sie verbindet, eine Gemeinsamkeit. Was mich daran interessiert, ist Leben jenseits gesellschaftlicher Konventionen, also Menschen, die in unserer Gesellschaft nicht den Platz haben, den sie vielleicht gerne haben möchten, und sich ihren eigenen suchen. Entweder gezwungenermassen oder freiwillig. Das ist eigentlich das, was mich interessiert und was alle Filme miteinander gemein haben, also sozusagen Parallelleben, Parallelwelten. Die es irgendwie hinkriegen, innerhalb unserer Gesellschaft, die sehr stark formiert und konventionell organisiert ist, ihren eigenen Freiraum zu schaffen. Und insofern passt dieser Film natürlich da auch rein, weil der Protagonist jemand ist, der mit der Gesellschaft so wie sie ist, nicht zufrieden ist, oder zufrieden war, und versucht hat, diese Gesellschaft zu beeinflussen, oder vielleicht sogar zu verändern, mit Militanz oder revolutionärem Impetus oder was auch immer. Und das ist die Grundlage dessen, was mich zunächst mal interessiert hat.

Bei diesem Film war es so, dass ich den vor zehn Jahren noch nicht hätte machen können. Da wäre es im Prinzip so gewesen, da wäre ich persönlich zu verstrickt gewesen. (Zum Verständnis: Sobo hat ein Kind mit der Schwester von Thomas). Denn die Geschichte ist ja auch meine Geschichte, auf eine gewisse Art. Natürlich nur peripher, am Rande, weil ich sie ja 20 Jahre lang mitbekommen habe, Geschichten über die Familie und so weiter. Und ich hätte mir das nicht zugetraut, und deswegen habe ich am Anfang ja auch sehr stark gezögert, weil ich mich dazu viel stärker ins Verhältnis setzen muss. Weil ich in der Regel Filme mache, wo ich vollkommen frei bin. Wo ich machen kann, was ich will, so, wie ich dieses Leben, diesen Protagonisten sehe, und ich konzipiere und realisiere das dann so, wie ich es wahrnehme. Aber das ist bei diesem Film anders. Ich kann mich da nicht komplett rausziehen, das ist ein Teil von mir. Also auch die Erwartungen sind natürlich da. Auch die Familie und so, ob ich das haben möchte oder nicht, und das ist auch die Schwierigkeit. Filmisch muss ich ja auch eine gewisse Distanz wahren. Weil, wenn du emotional total verstrickt bist, kannst du keine guten Bilder schiessen. Und das ist für mich die Herausforderung.

Sobo Swobodnik

Inhaltlich passt es total. Mich faszinieren Menschen, die versuchen, ihre Ideen, ihre Visionen radikal umzusetzen und zu leben. Ob es jetzt die Nonnen sind, oder die Strassenjungs, die Musik machen, die mit dem Schulsystem nicht klargekommen sind, die ausgestiegen sind und jetzt ihr eigenes Programm machen. Oder ob es Johann Georg Elser ist. Das ist die Faszination für mich, und die würde ich ganz gerne komprimieren, festhalten und zur Disposition stellen. Damit andere Menschen, die vielleicht noch viel weniger damit zu tun haben, damit umgehen können und sich darin reflektieren können. Das ist es, warum ich das mache.

Du hast ja einen starken Moment rausgesucht, um diesen Film in Venezuela zu machen. Das Land ist in frankem Zusammenbruch, alles geht kaputt, nichts funktioniert, wochenlang kein Strom… wahrscheinlich hast du bisher noch nicht unter diesen Bedingungen gefilmt. Wie ist ganz allgemein dein Eindruck über Filmemachen in Venezuela?

Also insgesamt kann ich sagen: das waren die härtesten und anstrengensten Dreharbeiten, ever. Ich habe ja vorher schon einen relativ anstrengenden Film gemacht in der forensischen Psychiatrie, mit suchtkranken Straftätern vier Wochen im Knast, und ich habe der deutschen Produktionsfirma geschrieben: dagegen war das Kinderkram. Das muss man wirklich sagen, eigentlich kann man hier keinen Film machen. Die Umstände erlauben es eigentlich nicht.

Die venezolanische Produktionsfirma ist ja in der Mitte des Films ausgestiegen?

Genau. Ich kann das auf eine gewisse Art verstehen, dass man sagt, die Umstände erlauben es einfach nicht, Stromausfall, kein Wasser, kein Gas, kein Benzin, kein Transport usw., das kann man jetzt durchdeklinieren. Prinzipiell kann ich das verstehen, dass man sagt, ich mache das nicht. Aber das muss man halt vorher machen. Die Entscheidung muss man vorher fällen, aber nicht mittendrin. Man kann keinen Marathon laufen und nach 21 km sagt man, jetzt höre ich auf. Das geht nicht. Da muss ich kriechend oder sonst irgendwie ans Ziel kommen. Oder muss im Schatten auf der Stelle treten, damit ich wieder Kraft sammle, und dann weiter machen. Aber nichtsdestotrotz ist es schon so, dass die Bedingungen hier einfach katastrophal sind. Also auch ohne Drehgenehmigung, wir sind ja hier „under cover“, ohne Arbeitsvisum – das ist ja auch gefährlich. Ich stehe ja auch in Verantwortung gegenüber den anderen Leuten, die dabei sind. Das muss man sich wohl überlegen, das haben wir uns auch wohl überlegt. Wir hatten mehrere Monate lang auf das Arbeitsvisum gewartet, das kam nicht, und dann haben wir die Entscheidung getroffen, im engsten Kreis, gehen wir das Risiko ein, einer hat gesagt, da gehe ich nicht mit, das muss man auch akzeptieren, Elias und Pablo waren sofort dabei. Und in Anbetracht dessen, dass man eigentlich gar keinen Film drehen kann, ist es umso erfreulicher, dass es irgendwie geht. Und es geht auch nur, weil man in so einer Situation am gleichen Strang zieht, sich solidarisiert, sich gegenseitig stützt, und es irgendwie versucht über die Bühne zu bringen. Das ist etwas, das über den Film hinaus geht, und das ist etwas, was mich fast mehr interessiert als der Film selbst. Mich interessiert immer mehr der Prozess. Diese vier Wochen, die für mich wahnsinnig hart waren, weil ich ganz anders lebe, weil ich auch ganz bewusst anders leben will, aber ich finde, das ist beim Film so geil, dass ich dann vier Wochen die Möglichkeit habe, in ein anderes Leben einzutauchen, um daraus Mechanismen abzuleiten für mich selbst. Für mich relativiert sich, wenn ich zu hause bin, wieder einiges. Wenn bei uns mal kurz das Wasser ausbleibt, dann fängt man an auszuflippen. Oder wenn der Klempner nicht zur festgesetzten Zeit kommt, dann telefoniert man wild rum, beschimpft die Leute, usw. Diese Leichtigkeit, die aus so widrigen Umständen resultiert, das finde ich beeindruckend, und das nehme ich mit. Und das ist das Tolle daran, dass es nicht nur um den Film geht, das Endresultat. Natürlich sollte das gut sein, und natürlich werden sich diese erschwerten Umstände auch im Film manifestieren. Ohne sie auszustellen, ohne zu sagen „oh, passt auf, in Venezuela gibt es keinen Strom“. Sondern das läuft irgendwie by the way, das wird sich sozusagen in den Film einschreiben, und dann stellt man das zur Disposition, und dann kann man darüber diskutieren.

Wie ist jetzt dein Gefühl zum Film? Wird er gut?

Ich habe ein sehr gutes Gefühl, ein besseres als jemals zuvor. Als wir hierher gefahren sind, hatte ich nicht so ein gutes Gefühl, das ist wie eine mathematische Gleichung, du hast eine Bekannte und vier Unbekannte. Ich wusste nicht, was mit Pablo ist, ich kannte Pablo nicht, ich wusste nicht, wie er und Thomas aufeinander wirken, wie sie funktionieren. Ich kannte die Verhältnisse hier nicht, ich hatte zwar schon viel darüber gelesen, aber das ist, was man liest, also die mediale Darstellung und die Realität sind ja zwei Paar Stiefel. Ich kannte die venezolanische Crew nicht. Deswegen war das alles völlig undurchschaubar und nicht einsehbar. Ich wollte ja nicht nur einen Film machen über eine Person, das hat immer so was anekdotisches. Das finde ich scheisse, wenn man ein Leben so anekdotisch nacherzählt. Ich will in die Zukunft weisen, wie auch immer. Dass man das Bestehende nimmt, das ist eine Grundlage und so was braucht man auch, und dass man dann schaut, wo geht das hin, wohin kann so was führen. Und das finde ich das tolle daran, dass man jetzt zeigen kann, anhand dieser Konstellation mit Pablo, da entsteht was neues, was kreatives, was weit weg in eine ganz andere Dimension weist. Dass da zwei Jungs sind, einem, dem man das überhaupt nicht zutraut, weil er seit zwanzig Jahren im Busch sitzt, und einem anderen, der aus einer musikalisch ganz anderen Richtung kommt, und die machen was gemeinsam, und das flasht auch noch. Und das finde ich das Interessante. Beim Film geht es ja auch vor allem um Gefühl, und das kann die Musik natürlich viel besser einlösen. Ein Song über Heimat löst viel mehr aus, als wenn du vier Seiten lang über das gleiche Thema referierst.

Wie hast du denn die venezolanischen Menschen empfunden? Wie lief dir dir das Land rein?

Also ich finde es sehr ambivalent. Auf der einen Seite bin ich positiv überrascht über die Freude der Menschen, trotz der katastrophalen Zustände. Ich habe nie gross Agressionen irgendwo gesehen, sondern eher lachende Menschen. Zum Beispiel, wenn der Strom weg ist und kommt nach zwei, drei Tagen wieder, dann klatscht das ganze Dorf und jubelt, das fand ich grossartig. Also sich nicht unterkriegen zu lassen, was auch immer, das fand ich schon beeindruckend. Auf der anderen Seite fand ich es ein bisschen enttäuschend, dass da nicht mehr Widerstand da ist, dass nicht mehr Aufbegehren da ist. Dass man mit ihnen fast alles machen kann. Das finde ich wirklich enttäuschend. Da blicke ich zu wenig in die venezolanische Seele, woran das liegt, das finde ich aber schon frustrierend, dass man nach zehn Tagen Stromausfall nicht auf die Strasse geht und sagt „jetzt reicht´s, ihr betrügt uns um unser Leben“. Dass man da nicht stärker aufsteht und die Fäuste ballt und versucht, noch andere Möglichkeiten, die es ja durchaus gibt, um diese Verhältnisse zu verändern, anwendet. Das hat mir Venezuela etwas madig gemacht, obwohl ich das Land wunderschön finde, auch diese Unterschiedlichkeit der Natur, dass es Dschungel gibt, dass es Berge gibt, dass es alles gibt. Umso frustrierender ist, dass so wenig daraus gemacht wird.

Am 30. April 2020 kommt der Film in die deutschen Kinos.

Info: www.partisan-filmverleih.de

Trailer des neuen Dokfilms „Gegen den Strom – abgetaucht in Venezuela“ von Sobo Swobodnik:

Und hier ein Making-of: