Rote Ausschreibungen gegen die drei Verfolgten: Was ist Interpol?

Die größte Polizeiorganisation der Welt mit Sitz in Lyon ist juristisch ein Verein, eingetragen nach französischem Privatrecht – kein völkerrechtlicher Vertrag liegt ihr zugrunde, kein Parlament hat die Tätigkeit von Interpol je ratifiziert. Interpol verfügt über keine eigenen Fahnder*innen, sondern koordiniert nur die Zusammenarbeit nationaler Ermittler*innen. Interpol kann auch keine „internationalen Haftbefehle“ ausstellen, sondern informiert nur per Roter Ausschreibung („Red Notice“) über nationale Haftbefehle, die mit einem Auslieferungsgesuch verbunden sind. Nach Angaben der Interpol-Webseite gibt es derzeit rund 62.000 gültige Rote Ausschreibungen, von denen 7.000 öffentlich zugänglich sind. Jene der drei im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren Gesuchten sind nicht öffentlich einzusehen.

Müssen Rote Ausschreibungen ausgeführt werden?

Der Umgang mit „Notices“ und „Diffusions“ bleibt jedem Land überlassen – also die gesuchte Person im Inland zur Festnahme auszuschreiben oder die Interpol-Ausschreibung lediglich als Erkenntnismitteilung anzusehen. Auf der Website von Interpol steht dazu: „INTERPOL kann die Sicherheitsbehörden keines Landes dazu verpflichten, eine mit Roter Ausschreibung gesuchte Person festzunehmen. Jedes Mitgliedsland entscheidet, welchen juristischen Wert sie einer Roten Ausschreibung beimisst, und welche Autorität seine zur Durchsetzung des Gesetzes bestellten Funktionäre zur Ausübung von Festnahmen haben.“ Weiterlesen

Abgetaucht und aufgespürt (ak Nr. 656 vom 21. Januar 2020)

Trotz Asylantrags wird ein Berliner Autonomer nach 24 Jahren im Exil in Venezuela festgenommen

Am 16. November 2019 wurde Peter Krauth am Flughafen El Vigía, Venezuela, festgenommen. Am 23. November wurde er nach Caracas gebracht, wo er seitdem in Auslieferungshaft in einem Interpol-Büro sitzt. Krauth wird, wie auch Bernhard Heidbreder und Thomas Walter, von der Bundesanwaltschaft (BAW) vorgeworfen, der 1995 aufgelösten autonomen militanten Gruppe Das Komitee aus Berlin angehört zu haben.

Das Komitee verübte Ende Oktober 1994 einen Brandanschlag auf ein Gebäude der Bundeswehr in Bad Freienwalde, um die Zusammenarbeit des deutschen und türkischen Militärs im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung in der Türkei aufzuzeigen: Deutschland sei Kriegspartei in Kurdistan. Eine zweite Aktion folgte: Im April 1995 versuchte Das Komitee, das im Bau befindliche Abschiebegefängnis in Berlin-Grünau zu sprengen. In ihrer Erklärung vom September 1995 »Knapp daneben ist auch vorbei« hieß es: »Massenabschiebungen sind ein Garant des ›inneren Friedens‹ und Kern imperialistischer Flüchtlingspolitik. … In Berlin wird zu diesem Zweck der ehemalige DDR-Frauenknast in Grünau umgebaut. Mit bis zu 400 Haftplätzen werden damit die Kapazitäten der Abschiebehaft in Berlin mehr als verdoppelt.« Weiterlesen

Gegen den Strom: Dokumentarfilm mit einem der Gesuchten im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren

Der Dokumentarfilmemacher Sobo Swobodnik hat einen Film gedreht über das Musikprojekt von Thomas Walter, Beschuldigter im K.O.M.I.T.E.E.-Verfahren, und Pablo „Mal Élevé“ Charlemoine, ehemaliger Sänger der Band Irie Révoltés. Nach Abschluss der Dreharbeiten hat er mit uns in Venezuela über das Projekt geplaudert.

Warum kamst du überhaupt auf die Idee, den Film zu drehen?

Es ist ja nicht der erste Film, den ich mache, ich habe schon ein paar andere gemacht. Und wenn man sich so anguckt, was die Filme miteinander verbindet, über ganz andere Protagonisten, über ganz unterschiedliche Themen, da gibt es so eine rote Linie, die sie verbindet, eine Gemeinsamkeit. Was mich daran interessiert, ist Leben jenseits gesellschaftlicher Konventionen, also Menschen, die in unserer Gesellschaft nicht den Platz haben, den sie vielleicht gerne haben möchten, und sich ihren eigenen suchen. Entweder gezwungenermassen oder freiwillig. Das ist eigentlich das, was mich interessiert und was alle Filme miteinander gemein haben, also sozusagen Parallelleben, Parallelwelten. Die es irgendwie hinkriegen, innerhalb unserer Gesellschaft, die sehr stark formiert und konventionell organisiert ist, ihren eigenen Freiraum zu schaffen. Und insofern passt dieser Film natürlich da auch rein, weil der Protagonist jemand ist, der mit der Gesellschaft so wie sie ist, nicht zufrieden ist, oder zufrieden war, und versucht hat, diese Gesellschaft zu beeinflussen, oder vielleicht sogar zu verändern, mit Militanz oder revolutionärem Impetus oder was auch immer. Und das ist die Grundlage dessen, was mich zunächst mal interessiert hat. Weiterlesen

Persönlicher Bericht vom Knastbesuch

Das sogenannte Interpol-Gefängnis bei der Kriminalpolizei CICPC in Caracas.

Mérida, 25.12.2019

Am 24.12. und am 31.12. wird den Gefangenen, die nach Interpol-Ersuchen festgenommen wurden, eine Stunde Besuch anstatt der sonst üblichen 15-20 Minuten pro Woche gewährt. Wir haben die 665 km vom Mérida nach Caracas in 12 Stunden in einem Privattaxi zurückgelegt, um Peter Krauth zu besuchen. Die Adresse dieses „Interpol-Gefängnisses“ in Caracas ist im Web nicht zu finden, wir sind auf Peters Anwalt angewiesen, um ihn besuchen zu können. Es befindet sich im Gebäude der Kriminalpolizei CICPC in der Avenida Este 6 unweit des Parque Carabobo.

Als wir um 8:00 Uhr vor dem Gebäude ankommen, warten dort schon ca. 50 Menschen in unterschiedlichen Schlangen, um Gefangene der verschiedenen Abteilungen im CICPC zu besuchen. Um 9:00 Uhr dürfen die ersten Besucher*innen das Gebäude betreten. Es stellt sich heraus, dass wir nicht dazu gehören und eine eigene Schlange für den Besuch von Interpolgefangenen bilden müssen. Neben uns warten inzwischen ca. 30 Menschen in einer dritten Schlange. Viele ziehen sich weiße Röcke über ihre Jeans und anschließend die Hosen aus, bunte T-Shirts werden gegen weiße gewechselt. Um die Besuchenden optisch von den Gefangenen zu trennen, ist weiße Kleidung vorgeschrieben. Wir haben eine blaue Trainingshose für Peter dabei, weil gefangene Männer dort blau tragen müssen. Unsere kleine Interpolschlange verlängert sich um weitere 3 Menschen. Weiterlesen